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Prinzip Hoffnung

Die erste Phase der Corona-Pandemie ist vorüber. Die Läden sind wieder geöffnet, Unternehmen, Kitas und Schulen kehren zu einer Art Normalität zurück. Aus zahlreichen Verboten sind Gebote und Empfehlungen geworden. Doch der Lockdown hat in der Gesellschaft und in der Wirtschaft seine Spuren hinterlassen.

Ein „Wumms“-Paket ohne Wirkung?

Lufthansa, Galerie Karstadt-Kaufhof, Vapiano, Esprit, Hallhuber – Corona-Auswirkungen bedrohen ganze Branchen. Neben der Reise- und Tourismusindustrie ist vor allem der Einzelhandel betroffen. Aber auch kleine Unternehmen und Freiberufler. Für fast jeden dritten Freiberufler ist der wirtschaftliche Schaden existenzbedrohend. Wolfgang Ewer, Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe sieht deutschlandweit mindestens 400.000 Stellen gefährdet.

Anfang Juni präsentierte Finanzminister Olaf Scholz darum den „Wumms“. Die Große Koalition legte ein 130 Milliarden Euro schweres Rettungspaket auf, um aus der Krise zu kommen. Das Kernelement des Rettungspakets ist die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 %. Ob das reicht, bezweifeln Ökonomen. Die Umfragen führender Marktforschungsinstitute zeigen, dass die Stimmung der Konsumenten in Deutschland am Boden ist. „Wer Bauchschmerzen hat, isst auch keine Torte“ meinte dazu die Geschäftsführerin des Marktforschers september Strategie & Forschung GmbH in einem WELT-Interview. Wer Angst hat, wird auch mit dem größten Anreiz nicht konsumieren. Hier muss sich die Politik um einen Stimmungswandel bemühen. Und auch dann ist der Erfolg unsicher. Eine zweite Pandemie-Welle würde die Stimmung der Konsumenten und deren Einkaufsverhalten wohl vollends in den Keller treiben. Die Auswirkungen bei Konsum und Investitionen wären erheblich.

Schon jetzt konstatiert das ifo-Institut bei deutschen Unternehmen in diesem Jahr einen Umsatzrückgang von 20 %. Besonders pessimistisch ist das Institut bei Kleinunternehmen. Hier wird ein Minus von 30 % befürchtet. In seiner aktuellen Wachstumsprognose rechnet das ifo-Institut in 2020 mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um 6,7 %. Für 2021 steige die Wirtschaftsleistung wieder um 6,4 %. Mit bis zu 7,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit (21,5 % aller Beschäftigten) sieht ifo-Chef Fuest eine gegenüber der Finanzkrise 2008/2009 völlig andere Dimension. 2009 waren gerade einmal 1,1 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit (4 %).

Für die Wirtschaft des gesamten Euro-Raums rechnet der Sachverständigenrat mit einem Einbruch von 8,5 % in diesem Jahr und für 2021 mit 6,2 % Wachstum. Doch es gibt Hoffnung. Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, erwartet nach dem größten Einbruch der Wirtschaft seit Bestehen der Bundesrepublik, für das zweite Halbjahr eine Erholung der Konjunktur. Auch der ifo-Geschäftsklimaindex zeigt Zeichen der Aufhellung. Im Juni ist das Stimmungsbarometer auf 86,2 Punkte gestiegen. Dabei dürften sich die Stützungsmaßnahmen und beschlossenen wirtschaftspolitischen Konjunkturimpulse in Deutschland und bei seinen wichtigen Handelspartnern positiv auswirken.

Die Wirtschaftsweisen betonen aber, dass der Ausblick extrem unsicher bleibe. Viel hänge vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. Das Corona-Virus verbreitet sich weiterhin sehr schnell. Global werden mittlerweile über 11,6 Millionen Infizierte und über 538.000 Todesfälle gemeldet. Vor allem Länder wie Brasilien, Indien und USA sind stark betroffen.

Das stellt diese Länder vor extreme Herausforderungen. So ignorieren die USA das Virus stellenweise komplett, um der Wirtschaft nicht zu schaden. Man könne die Wirtschaft nicht wieder schließen, warnte US-Finanzminister Steven Mnuchin. Ein Lockdown richte zu große wirtschaftliche Schäden an. Bei einer aktuellen Arbeitslosigkeit in USA von über 13 % ist diese Sichtweise kein Wunder. Wie sich das ignorante Verhalten der USA jedoch langfristig auf die Wirtschaft des Landes auswirken wird, ist noch nicht vorhersehbar. Denn die Menschen ändern bei steigenden Infektionszahlen ihr Verhalten. Das dämpft die wirtschaftliche Aktivität ebenfalls.

Aktien-Party trotz Konjunktur-Blues

Und die Märkte? Ein Blick auf die Entwicklung der internationalen Aktienmärkte lässt den Crash im März schnell vergessen. Große Teile der damaligen Verluste sind bereits wieder aufgeholt. Der DAX liegt sogar nur noch knapp 10 % unter den Rekordwerten vom Februar 2020. Der Technologie-Index Nasdaq Composite notiert sogar auf Allzeithoch.

Damit driften Wirtschaft und Börse auseinander wie selten zuvor. Zahlreiche Branchen und Unternehmen wissen nicht einmal, wie und ob sie das zweite Halbjahr überleben. Dennoch feiern die Börsen bereits den vermeintlichen Konjunkturaufschwung 2021.

Für die in Kürze erwarteten Zahlen des Corona-Quartals erwarten viele Analysten grottenschlechte und tiefrote Ergebnisse. Der Erwartungshorizont ist extrem niedrig. Ein besonderes Augenmerk wird darauf liegen, wie die Unternehmen ihr Geschäft für die zweite Jahreshälfte und darüber hinaus einschätzen. Nach den Kurssprüngen gelten die Aktienmärkte als relativ hoch bewertet und sind entsprechend anfällig für eine nachhaltige Revidierung der zukünftigen Gewinnpotenziale.

Sehr widersprüchlich zu der bisherigen positiven Marktentwicklung scheint das Ergebnis einer Umfrage von Bank of America unter 200 international führenden Vermögensverwaltern. Fast 70 % der Befragten halten den jüngsten Anstieg der Aktienmärkte für eine Bärenmarktrallye. Sie erwarten, dass der Aktienmarkt wieder fallen wird. Andererseits sind die Cash-Quoten noch überdurchschnittlich hoch und die Alternativen, in andere Anlageklassen wie Rentenpapiere auszuweichen, sind Mangelware. Es besteht daher ein gigantischer Anlagedruck, eventuell anziehende Aktienmärkte nicht zu verpassen.

Die Corona-Megatrends

Viele Branchen leiden unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Allerdings werden die wirtschaftlichen Verwerfungen auch Politik, Gesellschaft und einzelne Branchen dramatisch verändern.

Politische und wirtschaftliche Änderungstendenzen

Inflation

  • kehrt auf Dauer zurück
  • Liquiditätsschwemme trifft auf geschrumpfte Kapazitäten

Konsum/Einzelhandel

  • Mehr Onlinehandel
  • Mehr Insolvenzen
  • Fallende Mieten im Einzelhandel
  • Mehr bargeldloser Zahlungsverkehr

Tourismus

  • Abschwächung globaler Reiseströme
  • Weniger Fernflüge
  • Menschen überdenken Art des Reisens

Arbeitsplatz

  • Home-Office gewinnt an Gewich
  • Mehr Flexibilität in der Arbeit

Digitalisierung

  • Mehr Online-Meetings
  • Unternehmen investieren in digitale Infrastruktur
  • Ausbau Mobilfunknetz

Geopolitik

  • Corona Krise verschärft Konflikt zwischen USA und China

Sozialpolitik

  • Umverteilung nimmt zu
  • Höhere Steuern auf Vermögen und Einkommen drohen

Wirtschaftspolitik

  • Globale Arbeitsteilung wird teilweise zurückgedreht
  • Inländische Produktion sicherheitsrelevanter Güter nimmt zu
  • Staatlicher Einfluss auf wichtige Branchen wächst

Geldpolitik

  • Zentralbanken halten Zins auf Dauer tief
  • Notenbanken als Retter vermeiden Kollaps des Finanzsystems

Auszug Quelle: Flossbach von Storch AG

 

Fazit für den Anleger

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden die Konjunktur und die Kapitalmärkte noch eine ganze Zeit lang beschäftigen. Außerdem rückt die für November anstehende Wahl des US-Präsidenten näher. Damit muss man im Vorfeld von – sicherlich auch überraschenden – politischen Aktivitäten des Amtsinhabers Donald Trump ausgehen. Über ein zwei Billionen US-Dollar schweres Infrastruktur-Programm wurde bereits spekuliert. Möglicherweise stürzt er sich auch wieder auf neue Wirtschaftssanktionen gegen China und/oder Europa, die für Unsicherheiten an den Märkten sorgen. Um die Wirtschaft zu stabilisieren, werden die internationalen Notenbanken und politischen Entscheider die Märkte weiterhin mit riesigen Liquiditätsprogrammen versorgen. Schon wegen dieser Programme haben sich die Börsen aktuell von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgekoppelt. Sollten sich die Hoffnungen auf ein kräftiges Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr nicht erfüllen, ist eine erneute Kursschwäche an den Kapitalmärkten nicht auszuschließen. Die Tiefststände aus dem März 2020 sollten jedoch nicht mehr getestet werden. Langfristig orientierte Investoren können also die im zweiten Halbjahr erwartbaren Schwankungen nutzen und in Schwächephasen bei internationalen Aktien zugreifen. Wir bevorzugen dabei unverändert.

„Ein Optimist ist ein Mensch, der alles halb so schlimm oder doppelt so gut findet.“ – Heinz Rühmann