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Das Inflationsgespenst geht um

„Mir scheint, dass das deutsche Volk eher 5% Inflation vertragen kann als 5% Arbeitslosigkeit“. (Helmut Schmidt)

Die aufkommende Inflationsangst verunsichert Anleger seit Monaten und hat im vergangenen Quartal einen Kursrutsch am US-Anleihemarkt ausgelöst. In den USA stiegen die Verbraucherpreise im Juni um 5 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. In Deutschland zog die Inflationsrate um 2 % an und ist nun auf dem höchsten Stand seit fast zehn Jahren.

Vor allem Energie verteuerte sich gegenüber dem Vorjahr dramatisch. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes gingen die Preise für Heizöl und Kraftstoffe im Mai um fast 29 % nach oben. Ob Öl und Benzin, Holz, Hähnchenflügel, Halbleiter oder Stahl: Bei vielen Waren sorgten Engpässe für höhere Preise. Und steigende Preise sind ein klassisches Indiz für eine anziehende Inflation.

Doch gemach. Zwar liegt Inflation in der Luft. Güter sowie Arbeitskräfte sind knapp. Mit der zunehmenden Normalisierung und weiteren Corona-Öffnungsschritten werden die Nachfrage der Konsumenten und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes weiter zunehmen. Für eine Inflationspanik ist es aber noch viel zu früh.

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Kapitalmärkte 2021

Zum einen war das Preisniveau im 2. Quartal des Vorjahres – inmitten der ersten Corona-Welle – extrem niedrig. Die Inflationsraten sind damit auch die Folge eines Basiseffektes. Zum anderen erleben die Unternehmen in vielen Branchen derzeit eine sprunghafte, ansteigende Nachfrage nach ihren Produkten. Eine gigantische Nachfrage, vor allem aus China und den USA, trifft auf leergefegte Märkte. Viele Anbieter sind pandemiebedingt ausgefallen oder haben ihre Angebotspalette aus Kostengründen stark reduziert. Dies führt zu extremen Lieferengpässen und zu überdurchschnittlich anziehenden Preisen.

Investoren und Notenbanker sind auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob diese Preiserhöhungen ein vorübergehendes Merkmal einer wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie sind oder den Anfang einer länger anhaltenden Inflation darstellen. Die meisten Experten (inklusive der Notenbanken) gehen von einer temporären Entwicklung aus, die sich im Laufe des nächsten Jahres wieder normalisieren sollte. Dennoch zwingt das Szenario alle Anleger, sich ernsthaft mit den Auswirkungen steigender Zinsen auseinanderzusetzen. Die amerikanische Notenbank FED sieht für 2023 zwei Zinserhöhungen. Die Anleihen-Kaufprogramme sollen bis dahin zurückgefahren werden.

Festgeld-Fans aufgepasst!

In einer Zeit anziehender Inflationsraten sollten auch Festgeld-Anhänger überlegen, anteilig in Sachwerte wie Aktien, Immobilien und Rohstoffe zu investieren; denn auch wenn diese Anlageklassen vereinzelt schon relativ teuer erscheinen, werden Anlagen im Geldmarkt und in Rentenpapieren auch in nächster Zeit wohl keine positiven Realrenditen erzielen. Geld auf Festgeldkonten wird damit nach Abzug der Inflation definitiv weniger wert.

Selbst wenn sich der Inflationsdruck im nächsten Jahr wieder etwas legt, empfiehlt es sich in Zeiten eines Verwahrentgeltes auch mit kleineren Anlagevolumina auf Sachwerte mit mittel- bis langfristiger Investitionsdauer zu setzen. Für Neuinvestoren eignet sich ein zeitlich gestaffelter Einstieg über Direktanlagen, ETFs und Fonds. Aktien weltweit führender Top-Unternehmen bleiben hier relativ konkurrenzlos.

Prima Klima?

Ein echter Paukenschlag: Ende Mai verurteilte ein niederländisches Gericht den Öl-Multi Shell, den CO₂-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um 45 % im Vergleich zu 2019 zu verringern. Sieben Umweltorganisationen hatten geklagt und Recht bekommen. Der Ölkonzern sei für mehr Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich als die gesamten Niederlande, schreibt das Gericht.

Kurz zuvor hat das höchste deutsche Gericht das sogenannte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung deutlich kritisiert. Das Gesetz ist in Teilen verfassungswidrig. Die Bundesrepublik sei dem Schutz der Grundrechte seiner Bürger verpflichtet, die durch den Klimawandel in Gefahr sind. Schließlich habe Deutschland das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Umweltaktivisten jubeln. Der Gesetzgeber hat nun bis Ende 2022 Zeit, das Gesetz nachzubessern.

Diese Urteile werden Wirtschaft und Politik nachhaltig verändern. Allein die Möglichkeit, künftig wegen klimaschädlichen Verhaltens verklagt werden zu können, wird die Wahrnehmung von Risiko in den Unternehmen verändern.

Politik und Wirtschaft stehen jetzt erheblich unter Druck, sich glaubhaft für den Klimaschutz starkzumachen. Der Anfang ist gemacht: Die EU verabschiedete einen billionenschweren „Green Deal“, um bis 2050 die Nettoemissionen von Treibhausgasen in der Union auf null zu reduzieren. In den USA herrscht seit der Wachablösung in Washington ebenfalls ein neuer Wind. Mit der Biden-Regierung stehen Milliardenprogramme für alternative Energien und Klimawandel-Technologien an.

Auf der Finanzseite machen immer mehr institutionelle Großanleger ihren Einfluss geltend und zwingen Unternehmen zu klimakonformem Verhalten. Zunehmend legen auch mehr Privatanleger bei ihren Investments Wert auf die Einhaltung ethischer und ökologischer Standards. Laut dem Branchenverband BVI ist das für deutsche Kunden verwaltete Vermögen nachhaltiger Fonds im ersten Quartal 2021 um über 40 % auf 254 Milliarden Euro gestiegen.

Für den Anleger: Für immer mehr Anleger ist es zunehmend wichtiger geworden, dass ökologische und ethische Gesichtspunkte bei der persönlichen Anlagestrategie berücksichtigt werden. Die langfristigen Megatrends Ökologie und Klimawandel bergen hervorragende Chancen für gezielte Investments. Diese umzusetzen, wird mit ausgesuchten Fonds und ETFs einfacher. Zum Jahresende 2021 wird in der EU die Taxonomie-Verordnung eingeführt, die ein nachhaltiges Finanzwesen innerhalb der Europäischen Union regeln soll.

Fazit: Die Pandemie hat die Geldreserven in den Haushalten enorm anschwellen lassen. Die Investmentbank UBS rechnet für die EU und Großbritannien mit rund 700 Milliarden Euro, die pandemiebedingt zusätzlich gespart wurden. In Deutschland allein sollen ca. 200 Milliarden Euro auf Giro- und Sparkonten gelandet sein. Wird diese gewaltige Summe ausgegeben, dürfte der Aufschwung nach der Pandemie kräftig ausfallen. Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer erhöhte zuletzt seine Wachstumsprognose für die Euro-Zone auf 4,5 %. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung sieht für Deutschland eine 20-fach höhere Wahrscheinlichkeit eines Booms anstatt einer Rezession.

Untersuchungen zufolge interessieren sich Konsumenten bevorzugt für Reisen, Restaurants und Gesundheit. Aktien von Unternehmen aus diesen Bereichen gehören damit in die engere Auswahl. Eine rapide Ausbreitung der Delta-Variante könnte den konjunkturellen Höhenflug regional in Gefahr bringen. Dies könnte insbesondere die vom Tourismus abhängigen Länder erneut empfindlich treffen. Technisch bedingte Rücksetzer an den Aktienmärkten sollten für mittel- bis langfristig orientierte Anleger für gezielte Aktieninvestments genutzt werden.

Die Zahl des Tages: Laut einer Studie der Credit Suisse Deutschland gibt es in Deutschland 2,95 Millionen Dollar-Millionäre und somit 633.000 mehr als bei der Auswertung ein Jahr zuvor.